Weltwandeln in Französischer Sprache
Bereits zum 6. Mal lud der 1980 gegründete Verein Litprom interessierte Leserinnen und Leser zu den Literaturtagen ins Frankfurter Literaturhaus. Unter dem Titel „Weltwandeln in Französischer Sprache“ versammelten sich spannende Fragen, die die 11 geladenen Autorinnen und Autoren auf Podiumsdiskussionen, Werkstattgesprächen und Lesungen zu diskutieren versuchten. Dabei ist die Wahl dieses Themas nicht zufällig. Nach 28 Jahren wird in diesem wieder Frankreich im Oktober Gastland der Frankfurter Buchmesse sein. „Wann immer wir die Möglichkeit haben, unsere Literaturtage mit der Buchmesse in Verbindung zu bringen, tun wir das natürlich.“, sagt Geschäftsleiterin Anita Djafari, denn die Buchmesse ist ein langjähriger Förderer des Vereins.
Warum aber war dann unter den 11 Autorinnen und Autoren kein Franzose? Kein Belgier oder Schweizer, fragte die langjährige Vermittlerin zwischen den Sprachen, Anne Weber, während einer der Veranstaltungen.

Das war für den Verein, der bis zum vergangenen Jahr noch den Titel „Gesellschaft zur Förderung der Literaturen aus Afrika, Asien und Lateinamerika“ trug, natürlich kein Zufall, sondern bewusste Entscheidung. Die Schriftsteller, die „nur“ an der vermeintlichen frankophonen Peripherie arbeiten werden in den Fokus gerückt und diskutieren ihr poetisches und persönliches Verhältnis zum Französischen. 10 Jahren nachdem 44 Schriftsteller das Manifest „Pour une littérature-monde en francais“ unterzeichnet hatten, mit dem das Konzept der „Frankophonie“ als neo-koloniale Ausgrenzung abgelehnt wird. „Es richtet sich gegen das zentralistische Kulturverständnis, allein in Frankreich läge das kulturelle Heil des Französischen.“, so Djafari. Und darum standen auch Fragen im Vordergrund, wie: Sehen Sie sich als Teil deiner frankophonen Literatur oder lehnen Sie diese Zuschreibung ab? Fragen, auf die weder Boualem Sansal aus Algerien, noch Alain Mabanckou aus dem Kongo allgemeingültige Antworten haben. Boualem Sansal gilt als der wichtigste algerische Gegenwartsautor, der in seiner Heimat auf Grund seiner Ansichten als „Persona non grata“ gilt und dennoch dort lebt. Alain Mabanckou dagegen, der in seinen Büchern „Zerbrochenes Glas“ und

„Morgen werde ich zwanzig“ viel Lebendigkeit erreicht, indem er das „Brazzaville-Französisch“, fast schon ein mündliches Französisch, schreibt, lebt schon länger nicht mehr in seinem Herkunftsland. Aktuell hat er die Professur für Französische Literatur am UCLA in Los Angeles inne, wo er seinen Studenten zu vermitteln versucht, dass es sich lohnt französische Literatur auch „hinter dem Tellerrand“ zu suchen. Dieses „Exil-Dasein“ zeichnet einen Großteil der geladenen Autorinnen und Autoren aus und mit ihnen wandert auch ihre Sprache. Wie weit um die Welt das Französische bereits gereist ist, zeigt die Liste der TeilnehmerInnen: Die AutorInnen stammen aus der Demokratischen Republik Kongo, aus Haiti, Tunesien, Vietnam, Indien, Algerien und dem Iran. Nicht nur ehemalige Kolonien also. Für Pedro Kadivar aus dem Iran beispielsweise ist das Schreiben auf Französisch ein emanzipatorischer Akt. Aus Protest gegen sein Heimatland legte er nach der Immigration seine Muttersprache ab, ein Handeln, das gesellschaftskritischer kaum sein könnte. Auch Shumona Sinha, die bei den Literaturtagen ihr bemerkenswertes Buch „Erschlagt die Armen!“ vorgestellt hat, nennt das Französische nicht ihre Muttersprache. Sie arbeitete als Dolmetscherin in einer Pariser Migrationsbehörde, ebenso wie ihre Protagonistin. „Das Buch ist voller Wut. Da ist so viel Wut auf verschiedenen Seiten.“, sagt Anita Djafari. „Man merkt, dass Sinha die Sprache liebt. Es ist viel Sprachspiel im Text und so vermittelt sie dem Leser ein Thema, das uns alle angeht.“ Migration, Flucht und Asyl, Wörter, die momentan allgegenwärtig sind. „Wenn ihr die Ziege habt, dann meckert doch nicht an ihrer Stelle.“, sagt dazu Alain Mabanckou, „Lasst sie selber meckern!“ Kein Autor aus Frankreich muss für das französischsprachige Publikum über Themen und Länder schreiben, über die jemand, der aus diesem Land stammt, auch selbst schreiben kann. Ein wesentlicher Grund für die Arbeit der Litprom, die allerdings betont, dass es auch heute noch Mut auf Seiten der

Verlage braucht, eine Übersetzung aus afrikanischen, lateinamerikanischen oder asiatischen Ländern zu publizieren. Und letztlich ist auch das immer wieder ein Grund dafür, warum die Autoren auf Französisch schreiben. „Wenn ich verstanden werden will, wenn ich einen Verleger finden will, kann ich nicht auf Swahili schreiben.“, sagt Fiston Mwanza Mujila im Interview. Doch nicht nur er, sondern der Großteil der Teilnehmer stammt aus einer ehemaligen französischen Kolonie, für sie müsste diese Sprache doch also „Die Sprache der Unterdrücker“ sein?
„Das ist nun mal, wie es ist.“, sagt Djafari dazu. „Doch es ist eben auch ihre Muttersprache.“ Und gerade das macht die verschiedenen „Französische“ aus. Die Mischung und Beeinflussung durch andere Sprachen, unterschiedlichen Dialekte und Klangeinflüsse. Auch die Traditionen des Geschichtenerzählens, die auch im Französischen adaptiert werden, bereichern die Literaturen des Französischen. So wurde der erste Roman des Lyrikers Fiston Mwanza Mujila

zunächst von einigen Verlagen abgelehnt, da er zu fremdartig für den Französischen Leser gewesen sei. „Der Verlag wollte, dass ich das so schreibe, oder so. Aber das kann ich nicht. Das Buch muss seine Seele behalten und die ist afrikanisch. Ich kann in Österreich leben oder in Frankreich, aber ich bleibe Afrikaner und meine Literatur bleibt afrikanisch. Die Sprache ist voller Musik und Rhythmus, Klang und Gefühl.“ Und gerade diese Eigenschaften sind es jetzt, die „Tram 83“ so hochgelobt sein lassen. Der Art, wie Mujila mit der Sprache spielt, liegt seine Herkunft zu Grunde, die wiederum die Literatur des Französischen ungemein bereichert.
Es war also nur logisch, die letzte Lesung der Literaturtage dem Kongolesen Fiston Mwanza Mujila zu widmen, der begleitet von einem Saxophon und zusammen mit dem Sprecher Stéphane Bittoun aus seinem Roman vorlas, vorschrie, vorlachte und vorsang.

Die 6. Litprom Literaturtage waren voller Leidenschaft, wenn der Essayist und Literaturkritiker Boniface Mongo-Mboussa beispielsweise über die Arbeit an der vermeintlichen Peripherie in Rage geriet, voller Begegnung, während Boualem Sansal im Foyer des Literaturhauses auf den Stufen der Treppe saß und mit jedem sprach, der sich traute. Zwei Tage voller Französisch, die auch für sprachunkundige, dank des Simultandolmetschens in zwei Richtungen höchst informativ, anregend und lustig waren. Schon jetzt kann man auf das kommende Jahr gespannt sein.
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