NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen

Aus dem Paradies nach „mein Amerika“

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– In einem zunächst namenlosen afrikanischen Land lebt die zehnjährige Darling mit ihren Freunden und der Mutter in einer Blechhüttensiedlung namens „Paradies“. Täglich ziehen sie los, um in „Budapest“, dem Stadtteil der Reichen, Guaven zu klauen, was nicht selten das Einzige ist, was ihre Kinder am Tag zum Essen bekommen. In ihrem Debütroman „Wir brauchen neue Namen“ zeichnet die Autorin NoViolet Bulawayo, die gebürtig Elizabeth Zandile Tshele heißt, eine Kindheit nach, die zwischen Sehnsucht, Freude und Enttäuschung pendelt.

Darling erscheint dem Leser zu Beginn als fröhliches Mädchen, sie spielt mit ihren Freunden erfundene Spiele wie „Andyover“ und „Fang-Bin-Laden“, bis sie nach der Hälfte des Romans zu ihrer Tante nach „Destroyedmichygen“ in die USA geht. „Mein Amerika“ nennt sie es träumerisch gegenüber ihren Freunden, muss aber schon bald feststellen, dass die Realität so rosa, wie sie es sich ausgemalt hat, nicht ist. Statt des sorgenfreien Lebens herrscht Pubertätsfrust, Identitätskrise und Langeweile, etwa wenn sie mit ihren schwarzafrikanischen Freundinnen ihr amerikanisches Lieblingsspiel spielt: Pornoseiten durchklicken und ohne Ton anschauen, um dabei selbst um die Wette zu stöhnen. Am Ende des Buches steht die nun 16-jährige Darling kurz vor ihrem Highschool-Abschluss, spricht mit amerikanischem Dialekt und geht zum Geldverdienten bei der ehemaligen Chefin ihrer Tante putzen. Sie erscheint dem Leser als gefrustete junge Frau, zersetzt von Heimweh und Selbstzweifeln.

Doch die romantisch verklärte afrikanische Kindheit der entfremdenden Jugend im Westen so einfach als Schwarz und Weiß gegenüberzustellen, ist es selbstverständlich nicht.

Im kindlichen „Paradies“ ist eine Elfjährige schwanger, seither verstummt und kann ganz offensichtlich selbst nicht verstehen, was mit ihr geschehen ist. Erst als die schwangere Chipo und Darling eine Teufelsaustreibung in ihrer evangelischen Kirche beobachten, bei der der fremden Frau die Beine auseinandergedrückt werden, beginnt Chipo zu sprechen: „Das hat er gemacht, mein Großvater, ich bin gerade rein von der Bin-Laden-Suche, und meine Großmutter war nicht da, und mein Großvater war da, und er hat mich genommen und mich genauso festgehalten und meinen Mund zugehalten, und er war so schwer wie ein Berg, sagt Chipo und die Worte purzeln aus ihr raus.“

Bulawayo versteht es wunderbar, aktuelle politische Entwicklungen in ihrer Heimat in den Text einfließen zu lassen, ohne ihn mit Informationen zu überfrachten. So gehen wie selbstverständlich viele Menschen, so auch Darlings Vater, ins benachbarte Südafrika, um dort in einer der zahlreichen Mienen zu arbeiten. In der Heimat gibt es keine Arbeit für sie. Als der Vater zurückkehrt, leidet er an „der Krankheit“, AIDS, und stirbt, in einer Hütte versteckt elendig vor sich hin. Doch für Darling, die immer mal wieder auf ihn aufpassen muss, ist er weniger der zu bemitleidende sterbende Vater (schließlich war er seit ihrer Geburt weg), sondern eher ein Störfaktor, der sie daran hindert, mit ihren Freunden zu spielen.

Selbst einschneidende politische Entwicklungen werden aus Bulawayos Feder im Text keineswegs erdrückend dominant. In den Stellen, in denen die seit Jahrzehnten währende Diktatur Robert Mutabes zur Sprache kommt, deutet sich an, in welchem Land Darling und ihre Freunde im ersten Teil des Romans leben. Auch die wie Lobgesänge auf die Heimat wirkenden drei Passagen des Textes und wie beiläufig eingeflochtenen Szenen der sich gegen die Weißen erhebenden Schwarzen lassen vermuten, dass Bulawayo von ihrem Heimatland schreibt. Dieses hat aus den USA die Vorwahl 011 263, wie Bulawayo gegen Ende den Leser wissen lässt, doch erst ganz am Schluss des Buches nennt sie es mit einer Silbe: „Zim“.

„Zim“ ist Zimbabwe, wo auch Bulawayo aufwuchs, um mit 18 Jahren in die USA auszuwandern. Wegen der Intensität, mit der sie die Sehnsuchtsgefühle Darlings ihrer Heimat gegenüber beschreibt, kann durchaus angenommen werden, dass der Text nicht frei ist von autobiografischen Zügen.

Der „Zim“-Teil des Textes wirkt dabei lebendig frisch in der kindlichen Rollenprosa. Im zweiten USA-Teil jedoch verliert der Stil ein wenig seinen Charme, was persönliche Vorliebe zur Literatur über Afrika sein mag.

„Wir brauchen neue Namen“ ist alles in allem ein erfrischender Roman über eine geteilte Kindheit, mit dem Bulawayo im Jahr 2013 als erste Schwarzafrikanerin auf der Shortlist des renommierten „Man Booker Prize“ stand. Vollkommen verdient, denn die Welt von Darling lebt durch sie wunderbar auf.

NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen (We Need New Names, 2013). Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow. Suhrkamp Verlag 2014. 264 Seiten. 21,95

Am 13. Februar erscheint ihr neuer Roman „Glory“ im Suhrkamp Verlag

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